Gedanken zu Ensemble Enbai 塩梅
Dieser Text sind Ueberlegungen, Gedanken und ein Entwurf für eine Klangsprache, die Improvisation, zeitgenössische Komposition und klassisch japanische Musik miteinander verbinden soll.
Als ich zum ersten Mal traditionelle japanische Musik gehört habe, war ich fasziniert von dieser anderen rhythmischen und zeitlichen Empfindung, Einer Klanglichkeit, die aus einem ganz anderen Untergrund hervorkommt. Dieses Hörerlebnis war für mich prägend und hat dazu geführt, dass ich mich mit der japanisch klassischen Musiktradition zu beschäftigen begann.
Unterschiedliche Kulturen bringen zwangsläufig verschiedene musikalische Ausdrucksformen hervor, insbesonders wenn sie auch geographisch weit auseinanderliegen. Durch die intensive Beschäftigung mit einer anderen Musiktradition werden die Differenzen zur eigenen Herkunft deutlicher. Man findet sie in allen Elementen der Musik: im Klang, den Instrumenten, der Melodik, den Harmonien, der Rhythmik, in Gestus, Artikulation und Zeitlichkeit. Wenn man diese Unterschiede einmal klarer umrissen und definiert hat, lassen sie sich besser mit dem Eigenen in Verbindung bringen. Die Dinge treten in einen Dialog, ein Diskurs entfaltet sich. Was ist ähnlich, was gibt es überhaupt nicht, wie erscheint die Differenz, was könnte sie bedeuten? Ich finde so Fragen, die mich leiten und weiterführen.
Am Anfang steht für mich die japanische Mundorgel Sho 笙. Der Klang der Sho ist es, der mir, beim Denken an klassisch japanische Musik, immer zuerst in den Sinn kommt. Normalerweise aus 17 kurzen Bambuspfeifen bestehend ist sie das harmoniegebende Instrument der höfischen Musik in Japan. Der Klang der Sho ist kontinuierlich, da beim Ein- und beim Ausatmen das eingelassene Metallblatt in Schwingung versetzt wird. In erster Linie ist die Sho ein Harmonieinstrument, sie kann aber auch Melodien spielen. Die verschiedenen Akkorde der Sho heissen Aitake 合竹. Die Sho mit ihrem weichen Ton, den feinen Klangschatten in den Akkorden und das subtile Ein- und Ausschwingen der Klänge hat mich von Anfang an tief berührt. Es war ein langjähriger Traum von mir, die Sho in meiner Musik zu hören.
Helmut Lachenmann hat der Sho in seiner Oper "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" einen schönen Platz gegeben. Japanische Komponisten haben für die Sho und westliche Instrumente zusammen komponiert; Toru Takemitsu 武満 徹, Toshio Hosokawa 細川 俊夫 und Dai Fujikura 藤倉 大 haben hierzu wegweisende Werke geschrieben.
Gagaku 雅楽, die kaiserliche Musik Japans, und die Musik des No Theaters 能楽 waren zwei entscheidende Hörerfahrungen, welche meine Wahrnehmung von Musik vollständig verändert haben. Eine Klangwelt, wie ich sie noch nie gehört habe. Archaisch, arkan, ein ganz eigener Atem. Rhythmuslinien die in den Raum hinein verlaufen, lange Melodiephrasen, die ewig so weitergehen können, ein fremder Ausdruck ganz eigener Prägung. Die Strukturen, die sich vor meinem Hören entfalten sind polyphone Anordnungen, welche ganz anderen Gesetzen gehorchen als unser westlicher Kontrapunkt. Die Intensität dieser Musik ist von grosser Wucht.
Gagaku und Nogaku sind zwei sehr unterschiedliche Hörerfahrungen. Die Musik des No Theaters mit ihren Pausen, der Leere, den Urlauten der Stimme und den schneidenden Akzenten auf grosser (大鼓 Otsuzumi) und kleiner Trommel (小鼓 Kotsuzumi) ist eine existenzielle Erfahrung, es wird Leben und Tod behandelt. Die Musik dringt ein in die Ritzen der Handlung des Theaterstückes, schafft Akzent, Kontrast und Spannung. Ein einzelner Trommelschlag vermag die Zeit anzuhalten und einen kurzen Raum von Ewigkeit entstehen lassen. Die angehaltenen, vertikalen Klänge sind von grosser Schönheit und bleiben im Ohr des Zuschauers haften. Die langsamen, zerdehnten Bewegungen des shite 仕手, des Hauptdarstellers, werden von den Musikern mit höchster Sensibilität aufgenommen.
Gagaku ist eine orchestralere Musik, mit feinsten Klangstrukturen und einer klaren, organisierten Rhythmik, die das Geschehen strukturiert und auf diese Weise formale Abschnitte schafft. Die langen Melodien von Sho und Hichiriki 篳篥, werden abwechselnd und auch zusammen gespielt, mit ihren Wiederholungen, den feinen Differenzen und die mikrotonalen Noten, sie ergiessen sich in den Raum. Das Faszinierende und Gemeinsame an diesen beiden Arten der japanischen Musik ist ihre Zeitlichkeit, das langsame Verströmen im Raum. Die musikalischen Ereignisse bewohnen den Raum für eine vergehende Zeitdauer. Die Klänge agieren sind aber gleichzeitig auch abwesend, als wüssten sie um ihre Vergänglichkeit.
Als Improvisator denke ich nach, wie ich von dieser Musik lernen könnte. Ich versuche (mit)spielend, die Längen der Phrasen mitzuvollziehen, deren Gestus zu begreifen, die Zwischenräume der Pausen zu fühlen. Ich lausche den Farben und Einfärbungen der Instrumente und der Instrumentenkombinationen und suche auf dem Klavier Akkorde, die völlig unbeholfen, nach meinem Gutdünken, ähnliche Klänge auszudrücken vermögen. Einen neuen Gestus, einen anderen Tonfall zu lernen, hilft mir, als Improvisator eingeübte Bewegungen und Hörerinnerungen zu umgehen, zeigen mir andere Spielstrategien und lassen mich eine neue Zeitlichkeit erfahren. Sich dieser Musik nähern kann man am Besten hörend und spielend. Im Ensemble Enbai 塩梅 lerne ich durch das Zusammenspiel mit Musikern, die in traditioneller japanischer Musik geschult sind, wie ich mich in dieser Musik bewegen kann. Ich lerne, indem ich mit ihnen improvisiere, Raum für mein eigenes Zutun zu finden. Die Musiker in diesem Ensemble kommen aber keineswegs nur von der traditionellen Musik her. Alle Musiker bringen Erfahrungen mit Improvisation und westlich zeitgenössischer Komposition mit. Der Kontrabbassist Tetsu Saito und der Saxofonist Taiichi Kamimura sind grossartige und sehr erfahrene Improvisatoren. Bass und Saxophon sind mir als Jazzmusiker sehr vertraut. Die traditionellen Instrumente wie Sho 笙 und Taiko 太鼓 sind mir weitaus weniger bekannt. Zusammen improvisieren heisst auch zu lernen, was für Möglichkeiten die traditionellen Instrumenten haben, auf welche Weise sie interagieren und ihre Akzente setzen.
Kompositionen, die mit Improvisationen verbunden sind müssen anders beschaffen sein, als festgesetzt Komponiertes, wo die Flüchtigkeit des Improvisierens nicht gegenüber gestellt wird. Eine Komposition in einem solchen Kontext, soll eine Stimmung, eine Atmosphäre vorgeben. Sie soll in der Improvisation Dinge in Gang setzen, die anders so nicht möglich sind. Die Komposition funktioniert als Trigger, als Anstoss um bestimmte Bewegungen hervorzubringen. Oder um eine Ausgangslage zu schaffen, die die Improvisatoren zu Gesten animiert und herausfordert.
Heikel ist es hier das richtige Gleichgewicht zu finden. Die nachfolgende Improvisation kann die Komposition zerstören und sie vergessen machen. Wie muss eine Komposition beschaffen sein, die einen improvisatorischen Dialog möglich macht, ja zulässt? Wie muss ein Improvisator auf die Komposition zugehen, diese reflektieren, die Erinnerung an diese verstärken ? Wie kann der Improvisator eine Antwort auf die Komposition geben oder neue Fragen an sie richten? Wie kann Improvisation und Komposition Klang und Bewegung von japanischer Musik aufgreifen, in sich einschreiben und so mit dem Eigenen in Dialog bringen?
Das Ensemble Enbai 塩梅 beschäftigt sich mit diesen Fragen. Es ist mir ein grosses Anliegen hier weiter zu forschen. Ich bin vom Potential überzeugt, dass in diesen Fragestellungen liegt und dadurch das Eigene wieder von Neuem begreifen zu können, das Vertraute zu verändern und das Andere mit meinen Erfahrungen verstehen zu lernen. Diese Suche, die mit Faszination und Attraktion begonnen hat, lebt ungebrochen als grosse Inspiration in mir weiter.
Zum Schluss: (und ich werde noch viel über dieses Thema schreiben) Ich verstehe herzlich wenig von der wunderbaren klassischen japanischen Musik, aber sie spricht auf direktem Weg zu mir.