Haboku Sansui - Sesshu Toyo 雪舟 等楊 - eine Bildbetrachtung

Klirrendes Glas

Menschenleer ist dieses Bild. Nebelverhangene Berge im Hintergrund. Ein bewegtes Vorne. Die räumliche Tiefenschärfe sticht einem sofort ins Auge. Es ist schwer auszumachen in was für einer Distanz sich der steile Fels hinten befindet. Ich denke ihn gern sehr weit. Die Landschaft ist verlassen und leer, und gleichzeitig voller Leben und sprühender Energie. Im Zentrum steht ein Baum, dessen Blattwerk sich in starker Bewegung befindet. Einer Gischt aus Wasser gleich, eine Fontäne windet sich nach oben und fällt in sich zusammen. Ich sehe klirrendes, zerspringendes Glas. Feste und flüssige Elemente vermischen sich. Es ist kaum mehr zu unterscheiden, was fest ist und was sich in Bewegung befindet. Ich höre einen Klang, er durchschneidet die Stille. Er rüttelt mein Bewusstsein wach. Die passende Analogie ist das Zerspringen einer hingeworfenen Glasflasche. In ihrem Aufprall und dem unmittelbaren Zerspringen in kleine und grössere Glassplitter liegt Präzision. Der vom Wind geschüttelte Baum steht auf einer kleinen Insel. Tiefes Wasser umgibt das kleine Eiland. Plötzlich entdecke ich ein Haus, das am Fuss des grossen, alten Baumes, rechts auf dem Bild, steht. Das Haus scheint unberührt vom hektischen Geschehen im Baumwipfel. Still ruht es im schützenden Windschatten des knorrigen Stamms. Ein Zaun aus Holz umgibt  das Haus. Gerade und genau abgemessen stehen die Holzpfeiler nebeneinander. Kein Pfad führt zu diesem Haus. Es ist eine stille Einsiedelei. Aufgeräumt und sauber.

 

Nach langer Betrachtung  

Beim langen Betrachten dieses einfarbigen Bildes verändert sich die Wahrnehmung. Ich könnte eine fast vollständig gegensätzliche Beschreibung von den ersten Eindrücken oben anführen und auch diese Betrachtungsweise hätte ihre Berechtigung. 

 

Stille Bewegung

Ich bin fasziniert von den vielen Bewegungen in diesem Bild. Verschiedene  gleichzeitige Geschwindigkeiten treffen in  komplexer Polyrhythmik aufeinander. Eine Panoptikum aller denkbaren Bewegungen liegt hier vor uns. Die feinen, abgestuften Schattierungen sind wie Schichten verschiedener Zeiterfahrung. Ich kann nichts festhalten auf diesem Bild. Auch das noch so kleinste Detail entzieht jedem Griff mit dem Auge. Der Geist kann das Bild nicht durchdringen, ich kann nicht hinter die Dinge gelangen. 

 

 

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