Misha Mengelberg No Idea
Misha Mengelberg ist ein filigraner Magier am Klavier. Avantgarde und Tradition geben sich in seiner Musik die Hand.
Ich habe meiner kleinen Rückschau auf das grosse Werk von Misha Mengelberg den Titel "No Idea" vorangestellt. "No Idea" - "keine Idee", ist der Name eines Trioalbums, welches Mengelberg zusammen mit den beiden amerikanischen Musiker Greg Cohen (bass) und Joey Baron (drums) im Jahr 1998 veröffentlicht hat.
Keine Idee (zu haben) wäre zuerst für jeden Musiker und Künstler ziemlich negativ zu verstehen: das wäre gleichbedeutend mit langweiliger Musik ohne Ueberraschung, gänzlich ohne Erfindung und Vision. Kann man aber "No Idea" nicht auch anders verstehen? Keine Idee (oder an keiner Idee anzuhaften) kann auch bedeuten sich von der Tradition loszulösen, frei zu Erfinden im Hier und Jetzt. Das wäre doch das erklärte Ziel jedes Improvisators, ohne jegliche "zuvor-gefasste" Idee, anders gesagt unvorbereitet, Neues zu schaffen.
Der Begriff der Idee hat in seiner langen Geschichte seit Plato und Aristoteles in der Philosophie und Kunst viele Bedeutungen erhalten. Hegel sieht in der Idee, den Begriff, der die Wirklichkeit, die er hervorbringt, mit sich in Uebereinstimmung bringt. Er definiert dies als "Einheit des Begriffs und der Objektivität". Dies ist in seiner "Wissenschaft der Logik II" eine zentrale Ueberlegung. Ein Gedanke, der mir sehr wichtig erscheint, den ich aber hier nicht weiter ausführen werde. In der Philosophie von heute wird dem Begriff der Idee häufig jede philosophische Relevanz abgesprochen. Könnte hier die Nicht-Idee (bzw. Keine Idee), der spontane und subjektive Einfall, das Instant Composing zum Einsatz kommen? In Bezug auf die Musik; welche Wirklichkeit bringt eine Idee hervor? Ist eine musikalische Idee nach der Ausführung genau das, was ursprünglich beabsichtigt wurde? Decken sich Gedanke und Gestalt? Ich wage es mit Vehemenz zu bezweifeln. Und auch Hegel, so scheint mir, war sich dessen mit seinen Ueberlegungen bewusst.
Keine Idee wäre etwas Abwesendes, dessen Anwesenheit erwartet wird. Genau dies scheint mir in Bezug auf den Albumtitel "No Idea" für die Musik von Misha Mengelberg bezeichnend zu sein. Mengelberg ist ein Improvisator der die Tradition sehr genau kennt und diese durchsetzt mit unerwarteten Cluster-Akzenten kontra dem rhytmischen Fluss, plötzlichen Arpeggi von Tönen, die gegen die Akkorde des Stücks anlaufen, um dann wieder in einer perfekt geformten und getimten Be-Bop Phrase zu enden. Die "No Idea" wäre dann das Abwesende, in dem es das Erwartete konterkariert. Mit dem spontanen Unerwarteten, das keine Idee ist, dem Hören in die Quere kommen. Die "No Idea" vereitelt jeglichen Hörplan, hindert uns am Vorhaben, das zu Hören, was wir hören wollen. Ich würde den Gedanken von "No Idea" gern so verstehen.
Misha Mengelberg erwähnte in Interviews und Gesprächen immer wieder, dass er keine Idee von dem hat, was er als nächstes spielen wird. Einen Jazzstandard, ein Stück von Thelonious Monk oder Herbie Nichols, als Ausgangspunkt, als Anfang für spontane Improvisiation / Instant Composing zu nehmen wird durch das Bild von Strassen und Wegen in einer Landschaft schön ausgedrückt. "Roads and paths create the illusion that the land is known, yet really very little of it is seen: there are so many corners, that none of us go into for years on end." schreibt der englische Autor und Spaziergänger Peter Owen Jones in seinem lesenswerten Buch "Pathlands - 21 Tranquil Walks Among The Villages Of Britain". Es ist eine historische Tradition auf alten Strassen Neues zu bauen. Man denke nur an die Römer und die alten Passagen der Kelten.
2 berühmte Pianisten - Duke Ellington und Thelonious Monk - und ein leider viel zu wenig Bekannter - Herbie Nichols sind für Misha Mengelberg immer wieder Bezugs- und Anknüpfungspunkt. Vielleicht ist es gerade die aphoristische Musik von Herbie Nichols, eine Musik der kleinen Gesten, gleichzeitig dramatisch und humoristisch (die bekanntlich oft sehr nahe beisammen liegen), aus der die Musik von Misha Mengelberg hervorgegangen ist. In Herbie Nichols späten Kompositionen liegen Festgefügtes und Improvisiertes ganz eng beieinander, oft kaum unterscheidbar; Instant Composing, Composing the Moment. Improvisation ist "Instant Composing" - das wurde zum Leitgedanken für das von Mengelberg, Han Bennink und Willem Breuker 1967 gegründete ICP Orchestra (Instant Composers Pool). Misha Mengelberg hat verschiedene Alben mit der Musik von Nichols aufgenommen - ich denke an 2 Aufnahmen, die mir in starker Erinnerung geblieben sind: "Change of Season" (Soul Note) und "The ICP Orchestra Performs Nichols + Monk (ICP).
Misha Mengelberg war ein Rebell mit Humor. Einer der sich dann widersetzte, wenn es dringend nötig war.