Notiz zu Andrew Cyrille, Keiji Haino und Jack deJohnette
Ich hatte diesen Sommer das Glück drei Alben kennenzulernen, welche mir bisher unbekannt waren und die einen tiefen Eindruck hinterlassen haben. Nach vertieftem Hören, der sehr unterschiedlichen Musik dieser drei Aufnahmen, blieb der individuelle Klang, wie ein tiefes, verbindendes Element in meinem Hören haften. Klang als Mythos in seiner ältesten Bedeutung als Laut, Rede, Erzählung, als Gegensatz zum Logos, als Symbol und als ursprünglichstes Element von menschlichem Ausdruck. Klang als das musikalische Element, das am Anfang steht und über das Ende der Musik in den offenen Raum hinaus weiterhallt. Klang als die Stimme des Individuums, in welcher die ganzen musikalischen Erfahrungen des Musikers gespeichert sind. Aber auch Klang, als etwas Unfassbaraes, das Fragen in mir aufwirft und sich mir immer wieder entzieht, wenn ich glaube Antworten gefunden zu haben.
Das erste Album wurde 1978 vom Schlagzeuger Andrew Cyrille aufgenommen. Andrew Cyrille ist hier Bandleader und nannte seine Gruppe Maono, was auf Suaheli "Feelings" heisst. Maono war ein Quartett mit Andrew Cyrille als Drummer und Komponist, Nick di Geronimo am Bass, David S. Ware am Tenorsaxophon und Flöte, und dem Trompeter Ted Daniel. Das Album trägt den Titel "Metamusician`s Stomp". Andrew Cyrille, den man als furiosen Schlagzeuger aus Cecil Taylors Unit (von 1965 - 1974) kennt, tritt hier als Leiter dieses Quartetts mit ganz anderer Spielweise auf. Dieses Album ist von solcher musikalischen Subtilität, stilistischer Vielfalt und einem viel minimalistischeren und strukturierten Drumming geprägt, dass es mich erstaunt, dass diese Aufnahme nicht bekannter geworden ist, und heute nahezu vergessen zu sein scheint. Die vier Musiker sind tief ins Gespräch versunken, die Musik ist von grösster Menschlichkeit und Expressivität und es gibt, in dieser Art, selten gehörte solistische Höhenflüge. Ein wunderbares Album zeitlosen Charakters.
Das aber, was bei mir den tiefsten Eindruck hinterlassen hat, ist der Schlagzeug-Sound von Andrew Cyrille; der Klang der einzelnen Schläge, die das Holz so verschieden erklingen lassen, ganz nach Anschlagstärke und musikalischer Dynamik.Wie klingt Holz, wenn es auf Metall, auf Fell trifft? Die rhythmische Präzision und die urwüchsige Kraft von Cyrilles Spiel. Der "Ort", wo der Schlag auftrifft, platziert wird, der Atemraum zwischen den Aufschlägen, die Schattierungen und Nuancen der einzelnen Klangfarben.
Der Klang von Cyrilles Spiel klingt wie eine uralte Stimme aus einer vergangenen Welt. Wie kann ein Musiker einen solche Tiefe im Klang bekommen? Ist Klang ein Echo aus historischen Klangräumen? Ein Speicher all der Erfahrungen, welche ein Musiker in seinem Leben als "performing artist" gemacht hat? Klang als Körpergedächtnis? Ist Klang etwas, das (er)lernbar ist? Wie klänge dann "mein" Klang in Zukunft? Oder ist Klang etwas Ueberindividuelles und in diesem Sinn nicht Biographisches?
Die zweite Aufnahme stammt vom japanischen Gitarristen und Sänger Keiji Haino. Das Album trägt den langen Titel "HARDを何十乗させたら光の粒が降り注ぐのか?", wurde 2014 auf dem japanischen Label Fulldesign Records veröffentlicht, live an einem Konzert im "Stormy Monday" in Yokohama aufgenommen. Keiji Haino spielt hier im Duo mit dem Schlagzeuger Masataka Fujikake. Haino ist als Musiker schwer zu fassen und ist eine Ausnahmeerscheinung in der gesamten Welt der Musik. Was ist es, was wir hier hören? Rockmusik? Lärm? Geräusch? Blues? Die Musikkritik versucht sich mit nichtssagenden, stilistischen Labeln zu helfen (Noise-Impro, Post-Rock, Avant Rock). Der Versuch Keiji Hainos Musik zu fassen, kann auf diese Weise nur kläglich scheitern. Seine individuelle Gestaltungskraft steht allein für sich da. Fujikake spielt schwere Rockbeats mit grossem Klang. Haino agiert in den Zwischenräumen dieser wuchtigen Schläge. Die Gitarre schreit aus voller Kehle, erstickt immer wieder, ein Panoptikum an dynamischen Abstufungen, die Töne winden und drehen sich, wirbeln alles um sich herum auf und entfachen einen mächtigen Klangstrudel, der alles mit sich reisst, gerinnen dann wieder zu langen, ausgehaltenen Melodien und vereinen sich auf das Genauste mit den donnernden Schlägen des Schlagzeugs. Es ist als hörte man die ganze Geschichte des Blues, alle Schreie unserer Welt, gebündelt in diesem Klang von Hainos Gitarre. Hainos Körper fliesst in seinen Bewegungen widerstandslos um die Klänge, wie Wasser in einem Fluss mühe- und absichtslos Steine und Geröll umfliesst. In Keiji Hainos Musik sind die Bewegungen seines sich windenden Körpers in den Klängen materialisiert und auch ohne ihn spielen zu sehen, hörbar. Klang als Gedächtnis von Geschichte, als gelte es diese Erinnerungen hörbar zu machen?
Im Jahr 1973 nahm der amerikanische Schlagzeuger Jack deJohnette, es ist zu vermuten auf einer Tournee, in der Lino Hall in Tokyo ein Soloalbum mit dem Titel "Time & Space" auf, auf welchem er auf verschiedenen Instrumenten zu hören ist. Als Gast an Kontra- und Elektrobass, und auch mit zwei Kompositionen vertreten, ist Dave Holland zu hören. Das Album erschien auf dem japanischen Label "Trio Records". DeJohnette zeigt sich hier als Multiinstrumentalist, spielt er neben Schlagzeug, auch Klavier, Orgel, Melodica und Marimba, und singt. Ich finde es immer attraktiv, wenn ein Musiker auf einem Album alle Instrumente selber einspielt. Nicht selten entsteht dabei eine klangliche Stimmigkeit und eine äusserst differenzierte, subjektive Rhythmik, die nur ein Musiker im Dialog mit sich selbst entstehen lassen kann.
Als kleine Klammer sei hier auch der australische Popmusiker Kevin Parker alias Tame Impala erwähnt, der in Personalunion in verschiedener Hinsicht heute wegweisende Produktionen realisiert, über den ich bei anderer Gelegenheit schreiben werde.
"Time & Space" ist ein typisches Album der 70-er Jahre. Grosse stilistische Vielfalt und die Rockmusik hatte einen starken Einfluss auf viele Jazzmusiker. Alle Stücke sind ein starkes Statement von Jack deJohnette, ein Musiker mit einer klaren Vision, der seinen persönlichen Ausdruck genauso auf anderen Instrumenten findet. Das letzte Stück "Time & Space", das Titelstück, ist ein kurzes Schlagzeugsolo. Den Auftakt macht de Johnettes Stimme, gefolgt von einem Medium-Swing-Groove. Die Snare- und Tom-Arbeit ist von solcher dynamischer Differenziertheit und gespielt mit behänder Leichtigkeit und Virtuosität, Kleinste, repetitive Bewegungen, denen schwierig zu folgen ist, spielen sich vor unserem Hören ab. Geschwindigkeit wird hier räumlich durch Beschleunigung und Verlangsamung dargestellt. In kürzester Zeit breitet sich ein riesiges Spektrum an rhythmischen Möglichkeiten aus. Klang, Dynamik und Rhythmus zu einem "Fliessen" vereint. Gerade durch die Kürze dieses Solo, entzieht sich einem das Gehörte sofort wieder. Ich frage mich, was ist gerade passiert? In meinem Hören bleibt der Klang haften. Ein dunkler, schwerer und mächtiger Tonfall.