Thundercat - The New Thing
Thundercat (Stephen Bruner, ein amerikanischer Musikproduzent, Bassist und Sänger) spielt auf seiner Welttournee 2017 auch ein Konzert im Zürcher Jazzclub Moods. Im Trio mit Dennis Hamm an den Keyboards und Schlagzeuger Justin Brown boten sie ein Konzert, dass mit höchster Präzision, schnellem Interplay und langen Improvisationen überzeugte. Das Konzert beschäftigt mich sehr und es wirft viele Fragen zur Musik in unserer heutigen Zeit auf.
Thundercat ist der Sohn des bekannten Schlagzeugers Ronald Bruner Sr., der u.a. bei The Temptations trommelte und spielt in der Gruppe des Saxofonisten Kamasi Washington, in der kalifornischen Hardcore Band Suicidal Tendencies und auf den hochgefeierten Alben von Kendrick Lamar und Flying Lotus. Thundercat veröffentlichte bisher 3 Soloalben: 2011 The Golden Age of Apocalypse, 2013 Apocalypse, und jetzt 2017 das neue Album "Drunk". Auf "Drunk" hören wir 23 kurze Tracks, die in dieser gut durchdachten Reihenfolge eine vieldeutige Geschichte erzählen, kreuz und quer durch musikalische Genres, teils ernst und mit düsterer Miene, dann lustvoll, delirierend im Pluralismus der Stile, ein gewollter Bruch mit alten Mustern.
Wird hier die Fusionmusik der 70er und 80er Jahre von Neuem (ge-) (er)funden? Die Wiederkehr des Schon-Dagewesenen, eine Veränderung durch grössere Intensität? Intensivierung scheint mir in Zusammenhang mit Thundercat ein interessanter Gedanke zu sein. Im Konzert wird diese Eindringlichkeit noch stärker wahrnehmbar. Es fällt zuerst auf welches Tempo in den Unisono-Passagen angeschlagen wird. (Das Unisono, die zusammen gespielten und rhythmisch schwierigen Melodien und Riffs sind ein Kennzeichen von Fusion Musik). Alles ist schnell und wirkt noch schneller durch die Verstärkung im Unisono. Justin Brown ist ein Schlagzeuger, der jedes Tempo spielen kann - das Schnellste und auch das beinahe auseinanderfallende Langsame. Die Tempi werden nach oben und unten gedehnt. Thundercat wirbelt die Finger über das Griffbrett, Justin Brown setzt Akzente noch in die kleinsten Lücken der Melodielinien hinein, welche Dennis Hamm an den Keyboards mit lässiger Leichtigkeit doppelt. Ich habe selten eine solche Kontrolle der Dynamik gehört. Jeder Schlag, jede Note ist eine eigene dynamische Klangwelt. Die Cymbals werden präzise abgestoppt, die Snare- und Bassakzente bekommen verschiedene Räumlichkeiten. Auch die Keyboardsounds sind greifbare Oberflächen, perfekt in den Gesamtsound hinein gesetzte Klangflächen. Gelernt wurden diese Klänge durch die Technologie der Produktionen im Aufnahme Studio. Audioeffekte, wie Delay, Compressor oder das Sidechaining werden nachgespielt. Neue Technologien (auch wenn sie oft eine Retro-Aestethik nachahmen) prägen schon seit längerer Zeit das instrumental Gespielte. Der Mensch lernt neue Spielweisen von der Maschine.
Ist Akzeleration bis an die spielbare Grenze, eine neue Stilfigur? Wo sind die Grenzen die vom Menschen noch ausführbar sind? Wann werden diese erreicht sein? Eine Frage, die auch den Spitzensport beschäftigten muss.
Geschwindigkeit als Narkotikum? Schnelle, intensive Passagen werden in der Länge ausgedehnt, dadurch wird die Erfahrung ins Gegensätzliche gedreht, sie wirken mit der Zeit ruhig. Vielleicht beinahe schon beruhigend. Oder werden bloss unsere Sinne durch die Menge der Information betäubt? Es gibt einige Beispiele in der Musikgeschichte, wo viele, in rasendem Tempo, hintereinander gespielte Töne zum Akkord als Klangfläche gerinnen, eingeschmolzene Zeit zum Verweilen. Coltranes "Sheet of Sounds", die irren Tempi des Bebop, aber auch diverse Stilrichtungen von Metal-Musik kommen mir in den Sinn.
Intensität wird bei Thundercat zelebriert. Fusion in den 80er Jahren war abgeschwächte Intensität. Die Fusionmusik übernahm die repetitiven Grooves von Funk und Rhythm n`Blues , aber ohne ihre Dringlichkeit und aufrührerische Energie. Aestethisch war Fusion "geglättet", die Falten entfernt, die Klänge entleert, die Revolte war vorbei. Bei Thundercat wird auf den Grooves und Klängen insisitiert. Auch in den Momenten, wo die Musik sich selbst über sich lustig macht, wird mit Hochdruck gearbeitet. Interessant dabei ist zu beobachten, wie entspannt die Musiker in den hochintensiven Passagen sind. Hier zeigt sich uns eine Kunst der Entspannung in der Spannung. Dies zeugt von grösster handwerklicher Fertigkeit, die Musiker dieser Gruppe sind Eins mit ihren Instrumenten. Am Besten ist dies zu beobachten in den langen improvisierten Teilen. Allerdings ist es oft gar nicht einfach auszumachen, wo die Improvisation beginnt. Mit beherrschter Leichtigkeit "switchen" (um diesen hier passenden Anglizismus zu verwenden) die Musiker "durch die Kanäle". Die rasenden Läufe werden von Instrument zu Instrument übergeben, hin und her. Wer ist der Solist? Die ganze Gruppe ist ein einziges solistisches Instrument. Ich frage mich, ob hier neue Möglichkeiten des Improvisierens liegen? Werden andere Reaktionen herausgefordert? Ist eine solche Form von Improvisation nur in grosser Geschwindigkeit möglich? Findet hier das statt, was der Geschwindigkeits-Philosoph Paul Virilio als eine Deutung der technisch aufgerüsteten Gegenwart gefunden hat: "der rasende Stillstand?"
Eines steht fest: das Trio von Thundercat gibt andere Spielregeln vor, und improvisiert mit Höchstleistung.